Reulose Reinszenierungen des indonesischen Massenmords: "The Act of Killing"

Reulose Reinszenierungen des indonesischen Massenmords: Das Oscar-nominierte Dokumentarfilm-Epos "The Act of Killing" ist wie ein Mix aus Borat und Claude Lanzmann.

20.02.2014 | 18:24 | Von Christoph Huber (Die Presse)

Das Wortspiel des Titels nimmt vorweg, wie grotesk und provozierend dieses Dokumentarfilm-Epos ist: „The Act of Killing“ – nicht nur der Akt des Tötens, sondern auch seine Darstellung. Regisseur Joshua Oppenheimer und sein Team lassen zwei Mitglieder der indonesischen Todesschwadronen des Diktators Suharto, der im Zuge seiner Machtergreifung Mitte der 1960er Hunderttausende massakrieren ließ, ihre einstigen Taten nachspielen: Als ultimative und – die längste Zeit – völlig reulose Low-Budget-Täter-Show. Als selbstreflexiv sensationslüsterne Dokumentation – die Genre-Altmeister Werner Herzog und Errol Morris steigen als Executive Producers ein – zeigt „The Act of Killing“ dabei keine besonders drastischen Abscheulichkeiten.
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Der Ekel ist mehr existenziell – die zwei Massenmörder bevorzugen eine farcehafte und fantastische Reinszenierung ihrer Taten, in den absurdesten Momenten wird daraus zuckerlbuntes Musical-Entertainment: kostümierte Tänzerinnen paradieren aus dem Mund eines Riesenkarpfens, im Hintergrund rauscht idyllisch ein Wasserfall, und auf der Tonspur erklingt dazu das Titelthema des Löwenkinder-Abenteuerfilms „Born Free“.

Eine Augenweide? „I like eye candy“, erklärt jedenfalls Herman Koto, einer der beiden Protagonisten, und fügt später an: „Humor ist ein Muss.“ Und zwar ein Muss für das verspielte Nachstellen der Auslöschung ganzer kommunistischer Dörfer und der Hinrichtung kommunistischer Individuen – wobei „Kommunismus“ ein in seiner Allgemeingültigkeit bedeutungsloses Zauberwort ist, das Mitglieder der kommunistischen Partei ebenso gut beschreibt wie etwa Bauern ohne Land, Gewerkschaftsmitglieder jeder Art, Intellektuelle, Chinesen und Anhänger des vorherigen Diktators Sukarno.

Der Putsch, der zu dessen Entmachtung führte, war von den USA und weiteren Westmächten unterstützt – und wurde dann im Wesentlichen verdrängt, sieht man vielleicht von Peter Weirs Film „Ein Jahr in der Hölle“ (1982) mit Mel Gibson und Sigourney Weaver ab. Jedenfalls bis „The Act of Killing“ weltweit für großes Aufsehen sorgte und es jetzt auch bis zur Oscar-Nominierung brachte.

Teilen der Täterperspektive

Mit Oppenheimers Film schließt sich so in vieler Hinsicht auch ein Kino-(Teufels)Kreis: Seine Killer – ein distinguierter älterer Herr namens Anwar Congo und sein übergewichtiger Helfer Herman – erklären, dass sie Kommunisten hassten, weil die Hollywoodfilme verbieten wollten; sie hatten sich mit dem Weiterverkauf von Kinotickets durchgeschlagen, bevor sie für die Todesschwadronen rekrutiert wurden und die Gelegenheit hatten, „grausamer als die Filme zu sein“.

Ihre Reenactments grenzen eher an surreale Trash-Umnachtung: Massenmörderspiele wie frühe Almodóvar-Sexkomödien, in schrillen, doch festlichen Farben, wobei Herman bevorzugt als Frau posiert (was nie angesprochen wird). Als die Killer auch Opferrollen übernehmen, erklärt Anwar erstmals, er könne das Leid und die Angst der Menschen nachfühlen, die er umgebracht hat – auch das vielleicht ein Act, nur gespielt.

Zum Teilen der Täterperspektive wurde man schon von anderen Dokumentarfilmen gezwungen, besonders an „The Act of Killing“ ist neben der gut gelaunten Grellheit der widerlichen Selbstinszenierung das viel erschreckendere Umfeld: In Indonesien ist offenbar nichts aufgearbeitet worden – erst die Beachtung für diesen Film hat jetzt erste Ansätze bewirkt. So fühlen sich Anwar und Herman nicht als Kriegsverbrecher, sondern als Helden, wenn nicht gar Popstars: Anwar sorgt sich beim Sichten des gedrehten Materials um sein Image, aber nicht wegen seiner Taten. Beim Auftritt in einer TV-Talkshow begeistert sich die Moderatorin: „Anwar und seine Freunde haben ein neues, effizienteres System zur Beseitigung der Kommunisten entwickelt. Es war menschlicher, weniger sadistisch und vermied exzessive Gewalt.“

Oppenheimer wollte einen Film über die Opfer machen, was schwierig und zu gefährlich war (die indonesischen Teammitglieder, darunter ein Ko-Regisseur, sind im Abspann als Anonymus ausgewiesen). Erst als er die Mörder zur freimütigen Selbstentblößung einlud, „waren alle Türen offen“. So entstand ein unwahrscheinlicher Mix aus der Borat-Methode von Sacha Baron Cohen und Claude Lanzmanns unnachgiebigen Nazi-Befragungen, der nicht zuletzt schlagend die Binsenweisheit bestätigt, dass Geschichte von den Siegern geschrieben wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2014)

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